Die Polizisten Paul Grüninger und Wilhelm Krützfeld

Teil 2

Nach der sehr bewegenden Geschichte von Paul Grüninger nun zu dem Berliner Polizisten Wilhelm Krützfeld (* 9. Dezember 1880; † 31. Oktober 1953). Nach seiner Militärdienstzeit von 1990 bis 1908 schlug er die Laufbahn eines preußischen Schutzpolizisten in der Reichshauptstadt Berlin ein. Mit Fleiß und Pflichtentreue schaffte er bis zum Dienstrang des Polizeioberleutnants.

Die Nationalsozialisten hatten die Nacht vom 9. zum 10. November 1938 so vorbereitet, dass organisierte Schlägertrupps jüdische Geschäfte, Gotteshäuser und andere Einrichtungen in Brand setzten. Der Berliner Polizeipräsident Wolf-Heinrich Graf von Helldorf wies die Polizisten seiner Behörde vorab an, den „spontanen Volkszorn“ nicht zu behindern. Zudem sollten in dieser Nacht keine Streifentätigkeiten in der Nähe von Synagogen vorgenommen werden. Die Feuerwehr erhielt den Befehl, jüdische Objekte, sollten sie brennen, nicht zu löschen. Ein Eingreifen wäre nur dann erforderlich, wenn „deutsches Gut“ in Gefahr geraten würde.

Wilhelm Krützfeld, Reviervorsteher des Polizeireviers 16, in dessen Bereich die Neue Synagoge in der Oranienburger Straße lag, ließ in dieser Nacht seine Polizisten dennoch Streife laufen. Er erhielt nachts die Nachricht, dass das Gotteshaus von „Unbekannten“ angezündet wird. Er fuhr zu seinem Revier, nahm sich einige Beamte (benannt sind die Polizisten Steuck, Trischak, Belgard bzw. Bellgardt und Prohaska) zur Verstärkung mit und eilte zur Synagoge. Die Feuerwehr wurde mit zum Einsatzort gerufen. Dort, so die Berichte, berief sich Krützfeld auf eine Denkmalschutzverordnung aus der Zeit von Kaiser Wilhelm I., die die Neue Synagoge unter den Schutz des Staates stellte. Mit dem Schriftstück in der einen und der Waffe in der anderen Hand vertrieben die Polizisten die aufgeputschte Nazihorde. Es gelang tatsächlich, größeren Schaden von dem Bauwerk abzuwenden. Lediglich im Trausaal hatte es gebrannt. Die Flammen konnten durch die Feuerwehr gelöscht werden. Zerstört wurde die Neue Synagoge erst bei einem Bombenangriff im Februar 1943 zerstört.

Am nächsten Tag musste sich Krützfeld, so schilderte es sein Sohn Artur, beim Polizeipräsidenten Graf Helldorf zum Rapport melden. Er machte dem Reviervorsteher wegen seines Verhaltens in der von den Nationalsozialisten benannten „Reichskristallnacht“ Vorhaltungen. Krützfeld wurde gemaßregelt, weil dieser „den gesunden Volkswillen“ unterdrückt habe. Bestraft wurde er aber nicht. Im Jahr 1942 (andere Quelle: 1943) wurde er „aus gesundheitlichen Gründen“ pensioniert. Ob das so stimmt, ist schwer zu belegen, zumal er ja schon 62 bzw. 63 Jahre alt war. Vielleicht hatte er das Pensionsalter sowieso erreicht.

Das riskante Verhalten des Polizeioffiziers vom Revier 16 am Hackeschen Markt hatte bereits 1983 der 1939 nach Palästina emigrierte Berliner Hans Hirschberg erstmals im Katalog zu der Ausstellung „Synagogen in Berlin“ geschildert. Hirschberg erinnerte sich zudem, dass Krützfeld mit seiner Ehefrau das Damenkonfektionsgeschäft seines Vaters Sigismund betreten hatte, um einen Mantel für seine Frau schneidern zu lassen. Hirschberg bewertete das als Beweis dafür, dass Krützfeld den Juden wohlgesonnen war. Ansonsten wäre er als Polizist nicht nur das Risiko eingegangen, seine Stelle bei der Polizei zu verlieren, sondern auch als „Judenknecht“ sich anderen Repressalien auszusetzen. Hans Hirschberg erinnerte sich an das kameradschaftliche Gespräch zwischen seinem Vater und Krützfeld. Dieser sagte zum Abschied: „Herr Hirschberg, Sie brauchen sich nicht zu sorgen. Wenn wir Verhaftungslisten bekommen sollten, dann rufe ich Sie rechtzeitig an.“

Wieviel Juden Krützfeld warnen, helfen bzw. retten konnte, lässt sich nicht mehr feststellen. Wir können uns aber ansatzweise vorstellen, welchen Mut er aufbrachte, dem Gesetz der übergeordneten Vernunft und Menschlichkeit zu folgen, und das in einer Zeit, in der ein Witz bereits für einen Aufenthalt im Gefängnis oder gar KZ sorgen konnte.

1992 erhielt Krützfeld vom Berliner ­Senat ein Ehrengrab. Am 9. November 1993 benannte das Land Schleswig-Holstein seine Landespolizeischule nach Wilhelm Krützfeld.

Quellen:

Weitergehende Informationen finden sich im Buch „Der beherzte Reviervorsteher“ von Heinz Knobloch.