SEK-Einsatz? Nicht mit Werner

– Erinnerungen an einen Einsatz, der nicht stattfand-

Praktikum im kriminalpolizeilichen Dauerdienst
Ende 1985 versah ich im Rahmen meines Studiums für den Aufstieg in den gehobenen Dienst der Schutzpolizei ein achtwöchiges Praktikum beim kriminalpolizeilichen Dauerdienst in der Direktion 5 in Berlin. Es war eine sehr interessante Zeit. Schichtleiterin war Beate (*), eine sehr kenntnisreiche und führungsstarke Kriminalhauptkommissarin. Vom kriminal-polizeilichen Wissen gab es aber einen Beamten in der Schicht, der das Maß aller Dinge war. Das war Werner (), Kriminalhauptmeister und einer der letzten Kriminalbeamten des mittleren Dienstes in der Direktion 5. Im Zweifelsfall hieß es immer: „Frage einmal Werner!“ Nicht nur sein umfangreiches Wissen in allen polizeilichen Dingen war bemerkenswert, sondern auch sein taktisches Vorgehen bei den Ermittlungen und Einsätzen, und zwar von behutsam bis konsequent. Näheres hierzu an späterer Stelle.

Der erste SEK-Einsatz
In der Zeit meines Praktikums war viel zu tun. In einer meiner ersten Schichten erhielten wir eine Anzeige wegen des Verdachts des unerlaubten Waffenbesitzes. Ein Mann sollte zwei scharfe Schusswaffen in seiner Wohnung haben. Die Schichtleiterin forderte das SEK an. Wir fuhren abends nach Berlin-Britz. In dem Mehrfamilienhaus beorderten die Beamten des SEK die weiteren Einsatzkräfte der Kriminal- und Schutzpolizei eine halbe Etage weiter unten und oben. Das Eisenschild wurde krachend gegen die Wohnungstür geschlagen, und schon war diese offen. Die SEK-Kräfte hatten den Adressaten gleich überwältigt. Gefunden wurden in der Wohnung zwei Schreckschusswaffen.

Der zweite SEK-Einsatz
Zwei Wochen später wurde erneut das SEK angefordert. Der in Berlin hinlänglich bekannte Gewaltverbrecher Ekke Neumann (*) war wieder einmal in Erscheinung getreten. Er hatte bestimmte Forderungen gegenüber einem Kumpel aus der Kneipe. Um diese durchzusetzen, nahm er ein Telefonbuch in die eine und eine Schusswaffe in die andere Hand. Dann schoss er in das Telefonbuch; das Projektil blieb darin stecken. Neumann übergab das seinem Bekannten und sagte, dieser möge sich gut überlegen, ob er zahlen wolle oder nicht. Dieser wandte sich völlig eingeschüchtert an die Polizei und saß bei uns nun zur Vernehmung. Die Schichtleiterin entschied, dass wir uns den Neumann unter Zuhilfenahme des SEK holen werden.

Wir fuhren zur in unmittelbarer Nähe des Urbanhafens in Kreuzberg gelegenen Wohnung von Ekke. Es erfolgte die gleiche Aufteilung wie beim ersten Einsatz. Das Eisenschild wurde gegen die Wohnungstür gerammt; nichts geschah. Dann erfolgte ein zweiter, ein dritter, ein vierter Schlag usw. Erst nach rund einer Minute war die Tür offen. Diese war von Neumann zusätzlich mit einem horizontalen und einem vertikalen Stangenschloss versehen. Gut, dass Neumann zu dem Zeitpunkt nicht in seiner Wohnung war. Er hätte sich ansonsten in aller Ruhe auf das Hineinstürmen der Einsatzkräfte vorbereiten können. Ob das alles so gut 2 gegangen wäre, ist anzuzweifeln. Eine Schusswaffe wurde bei der Wohnungsdurchsuchung nicht gefunden.

Der dritte …, nein, doch nicht

Kurz vor Weihnachten erhielten wir wieder eine Anzeige wegen des Verdachts eines illegalen Waffenbesitzes. Diesmal ging es sogar um einen Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz. Ein Mann sollte in seinem Haus ein Maschinengewehr haben. Beate begann erneut mit den Vorbereitungen für einen SEK-Einsatz. Werner sagte, dass sie die Spezialkräfte erst einmal nicht anfordern soll. Er wolle sich das Objekt zuerst anschauen. Wir fuhren beide nach Berlin-Buckow. Es handelte sich um ein Einfamilienhaus. Zwischen Haus und Gartentor lagen ca. 12 m. Wir steuerten dann den zuständigen Polizeiabschnitt an. Inzwischen wussten wir, dass es sich bei den Bewohnern des Hauses um ein Ehepaar handelte, die beide Mitte 60 waren. Werner telefonierte mit Beate und sagte ihr, dass hier kein SEK-Einsatz stattfinden werde. Er werde das mit einer Zivilstreife des Abschnitts regeln. Die Schichtleiterin lehnte das ab. Dann sagte Werner sinngemäß: Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Mann mit aufgesetztem MG am Fenster auf irgendwelche Feinde lauert, um dann sofort zu schießen? Und schaue Dir das Alter des Paares an. Außerdem sind die kriminalpolizeilich noch nie in Erscheinung getreten. Und unsichtbar kann sich das SEK auch nicht machen. Die brauchen ja ein paar Sekunden, bis sie von dem Gartentor schließlich am Haus sind.

Wir machen es jetzt so, wie ich es sage. Tja, da gab es von Beate keinen weiteren Widerspruch mehr. Werner und ich klingelten am Haus. Die beiden Kollegen der Z-Streife standen etwas abgesetzt vom Grundstück. Der Hausbesitzer kam zum Tor. Werner gab sich als Kriminalbeamter zu erkennen, erklärte die Situation und belehrte den Mann. Dann begannen wir zu viert mit der Wohnungsdurchsuchung. Übrigens gab es damals keinen richterlichen Beschluss. Alle Durchsuchungen wurden mit Gefahr im Verzug begründet. Das Ehepaar gab uns bereitwillig eine leere Munitionskiste, Teile eines Verschlusses von einem MG sowie eine Schulterstütze von einer solchen Langwaffe. Das alles hatten sie vor vielen Jahren im Haus gefunden, als sie es gekauft hatten. Wem sie nun diese Anzeige zu verdanken hatten, ahnten sie nicht. Wir durchsuchten die Wohnung gründlich an allen Orten, wo man eben so Waffen verstecken könnte. Das Ehepaar war dabei sehr kooperativ. Weitere MG-Teile fanden wir nicht.

Es sind nicht wunderbar formulierte Leitlinien, die uns prägen und uns Orientierung geben. Vielmehr sind es Begegnungen mit Menschen, die uns mit ihrem Verhalten und ihrer Einstellung überzeugt haben und an die wir uns mit Dankbarkeit erinnern. Werner hatte eine gute Beurteilung der Lage vorgenommen und den folgerichtigen Entschluss getroffen. Ich vermag mir nicht vorzustellen, was wir bei dem Ehepaar mit einem SEK-Einsatz angerichtet hätten.

Thomas Willi Völzke

(*) = Namen jeweils geändert