Berliner Kriminalbeamter: „Grundrechte aufmerksam schützen und einfordern

Von Redaktion ViER.

Simon Berg (Name von der Redaktion anonymisiert) arbeitet seit mehr als 25 Jahren als Kriminalbeamter in Berlin. Im Interview mit dem Magazin „ViER.“ spricht er über Diskriminierung, Zweifeln als Beruf(ung) und das Phänomen „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“.

Polizisten geraten im Zusammenhang mit Diskriminierung immer wieder in die Schlagzeilen. Ist das denn wirklich ein Problem bei der Berliner Polizei?

Simon Berg: Die Behörde ist groß. In meinem Umfeld beobachte ich allerdings keine diskriminierenden Einstellungen oder Verhaltensweisen aufgrund des Geschlechts, Religion oder der ethnischen Herkunft. Jeder Polizist sollte grundsätzlich verstanden haben und dafür sensibilisiert sein, dass Toleranz und Abwesenheit von Diskriminierung grundlegend für eine friedliche, gerechte und freiheitliche Gesellschaft sind. Es gibt in der Behörde viele, teils verpflichtende Fortbildungen zur Diskriminierungs-Thematik. Eigentlich sollte das aber auch ohne solche Schulungen in einem gesunden Bauchgefühl verankert sein.

Erstaunlicherweise sind viele Kollegen gleichzeitig blind für intolerante bis diskriminierende Haltungen und Vorgehensweisen, die im Rahmen der Pandemie und der damit verbundenen Maßnahmen Einzug gehalten haben. Ungeimpfte, die natürlich als Gruppe identifizierbar sind, mussten im vergangenen 2G-Herbst und -Winter diverse harte Ausgrenzungen erdulden: Testverpflichtungen, Ausschluss vom alltäglichen Leben, wie Einkäufe im Einzelhandel, Friseur – gehört zur Körperpflege –, Besuch von Kulturveranstaltungen, Sportstätten, oder erschwerte Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel. Ich kenne Personen, die sich unter Druck und gegen ihre Überzeugung haben impfen lassen, weil ihnen gedroht wurde, sonst ihren Arbeitsplatz in der freien Wirtschaft oder in Arztpraxen zu verlieren.

Gleichzeitig – und das finde ich besonders verwerflich – gab es medial und seitens der Politik viele emotional vorgetragene Forderungen, Ungeimpften, die als asozial, unsolidarisch, gefährlich bezeichnet wurden, »das Leben schwer« zu machen und Schlimmeres. Kritikern und kritischen Organisationen wurden Konten gekündigt, kritische Beiträge wurden zensiert. Es wurde ein gesellschaftliches Klima geschaffen, das natürlich etwas mit dem Gefühl und der Meinungsbildung der Menschen macht, und das macht auch vor Kollegen innerhalb der Polizei nicht Halt. Entsprechende verbale Angriffe kamen auch von einigen Kollegen, denen der Impfstatus der anderen bekannt war. Der wurde nämlich erhoben, und es war erkennbar und auch Gesprächsthema, wer sich täglich mit Tests »ausweisen« muss, um überhaupt Zugang zu seinem Arbeitsplatz zu bekommen. Solchen attackierenden Kollegen würde ich zugutehalten, dass sie wirklich Angst vor der Krankheit hatten. Andere machten Ungeimpfte für die Lockdowns und weitere Einschränkungen verantwortlich. Egal, was die Motivation dieser Kollegen war, sie entbindet nicht von der Verantwortung, sich sachgerecht und umfassend zu informieren und das eigene Verhalten im Griff zu haben.

Wie fühlt es sich als Kriminalbeamter an, von der sonst so eingeschworenen Gemeinschaft der Polizei ausgeschlossen zu sein?

Zunächst möchte ich feststellen, dass es keine solche eingeschworene Gemeinschaft in dieser großen Behörde gibt. Die Aufgaben und Einheiten sind sehr unterschiedlich und haben nicht unbedingt Schnittmengen. Ich habe nicht den Eindruck, von der Gemeinschaft der Polizei ausgeschlossen zu sein. Was aber zum Entsetzen vieler Kollegen offenbar wurde ist, dass in Bezug auf die Corona-Maßnahmen und deren Durchsetzung keine kritische Reflexion stattfand. Ungeimpfte oder Maßnahmenkritiker wurden wie vorgegeben als Störer, als gefährlich für die Gesundheit anderer und verschwurbelt wahrgenommen, und damit hatte sich die Sache.

Aber es muss die Frage zulässig sein, auf welcher Grundlage das alles geschieht. Der Staat muss den Grundrechtsträgern gegenüber überprüfbar begründen, ob Eingriffe in Grundrechte geeignet, notwendig und angemessen sind. Ich sehe schon Probleme bei der Datenerhebung. Seit Beginn der Pandemie wurden geeignete Datenerhebungen und Studien gefordert – ich erinnere nur an die banale Frage: „an oder mit Covid?“ Ebenso fehlt mir eine unvoreingenommene Kosten-Nutzen-Analyse von Lockdowns, Maskenpflichten und Impfungen bis Teil-Impfpflichten. Und schließlich müssen Menschen freie entscheiden können, ob sie sich mit neuartigen Techniken, die eine bedingte Zulassung nach teleskopierten Studien und aufgelösten Kontrollgruppen haben, behandeln lassen wollen, – insbesondere, wenn der hinreichende Verdacht besteht, dass der Nutzen maximal überschaubar ist, aber gravierende gesundheitliche Schäden durch diese pharmazeutische Intervention eintreten können. Das ist auch eine Frage der Zumutbarkeit. Wer sich dagegen entscheidet, darf nicht ausgegrenzt, benachteiligt, abgewertet, beleidigt oder als Gefahr für die Allgemeinheit dargestellt und behandelt werden.

Aber hat, wer Polizist wird, nicht immer ein großes Gerechtigkeitsempfinden?

Das wäre ideal, und vermutlich ist es auch so. Ich denke auch, dass die Kollegen, die sich aus meiner Sicht ungerecht verhalten, sich selbst immer noch als gerecht empfinden. Um es mit den Worten von Volker Pispers zu sagen: Wenn der Feind bekannt ist, hat der Tag Struktur.

Was mich wirklich erschreckt: Menschen mit berechtigter sachlicher Kritik an der Pandemie-Behandlung – also Fragen zur Datenerhebung und Eignung sowie der Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen – werden in der medial-öffentlichen Berichterstattung und Darstellung zunächst noch herablassend als Schwurbler oder Irre bezeichnet, dann aber mit Nazis, Reichsbürgern, Rassisten, Antisemiten und Rechtsextremisten in einen Topf geworfen, vermengt und irgendwie gleichgestellt. Inhaltlich für mich bar jeder Logik. Strategisch aber doch logisch. Das führt nämlich dazu, dass man diesen Leuten aus moralisch induzierter Abwehr heraus gar nicht zuhört – oder gar zuhören darf – und sich so eine tiefe Abneigung gegen diese Kritiker eingestellt hat. Zurück zur Frage: Ich kann mir vorstellen, dass gerade diejenigen Kollegen, die besonders engagiert gegen Kritiker auf Demos oder im Rahmen von Ermittlungsverfahren vorgehen, das Gefühl haben, das Richtige zu tun und gegen die »Unrechten« vorzugehen. Sie empfinden sich und ihren Einsatz vermutlich als gerecht und gerechtfertigt.

Bei den 1. Mai-Demonstrationen in Berlin kam es immer wieder zu massivster Gewalt gegenüber den Einsatzkräften der Polizei, trotzdem wurde das Versammlungsfreiheitsgesetz nicht verletzt. Warum geht die Polizeiführung gegen Menschen, die friedlich für ihre Grundrechte auf die Straße gehen, dermaßen anders vor?

Die Corona-Thematik ist stark emotional und moralisch aufgeladen und außerdem politisch und medial mit einer eindeutigen Aufteilung in Gut (Maßnahmenbefürworter) und Böse (-kritiker) versehen worden. Die Verantwortlichkeit für die Entbehrungen in den Lockdown-Zeiten, die Unplanbarkeit, für Erkrankungen und sogar für den Tod von Menschen wurde den Kritikern zugeschrieben.

Ich habe selbst, wie andere Kollegen auch, an großen Demos und Spaziergängen teilgenommen und das Vorgehen im Einsatz wahrgenommen, und ich habe die Teilnehmer der Demos erlebt. Ich habe bei Spaziergängen gesehen, wie Einsatzkräfte der Hundertschaften Menschen, die einer typischen Nachbarschaftszusammensetzung entsprechen – darunter auch alte Menschen –, regelmäßig im Winter im Dunklen über Hinterhöfe und enge Straßen verfolgten, um einige davon einzukesseln und in Maßnahmen zu bringen. Ich habe gesehen, wie sich Einsatzkräfte in voller Montur gegenüber einer mindestens 80 Jahre alten, sehr kleinen Frau aufbauten und sie mit ihren Körpern rückwärts drängten. Ich weiß nicht, was diese Kollegen in solchen Situationen denken. Grundsätzlich möchte ich dazu sagen: Für die Teilnehmer war Gewaltlosigkeit auf den Demonstrationen für die Einhaltung der Grundrechte immer oberstes Gebot – und das muss auch weiterhin so bleiben.

Müsste nicht Ihr Beruf automatisch dazu führen, die diversen Maßnahmen und Grundrechtseinschränkungen, die seit März 2020 in Deutschland gelten, kritisch zu sehen?

Das müsste man erwarten, dass wir die Grundrechte aufmerksam schützen und einfordern. Jedenfalls sind wir als Kriminalbeamte verpflichtet, in alle Richtungen und umfassend zu ermitteln. Es ist unserer Arbeit immanent, Zweifel daran zu haben, ob etwas so ist, wie es scheint. Ermittlungen beinhalten oft Arbeitshypothesen, um Ermittlungsrichtungen zu erschließen. Aber Ermittlungen benötigen die Erhebung von objektiven Daten, Zeugen und Beweismitteln. Solche objektiven Daten führen dann zur Erhärtung oder auch Entkräftung oder sogar Verwerfung von Annahmen oder Ermittlungshypothesen. Ziel ist die unvoreingenommene Aufklärung eines Sachverhaltes.

Aber diese Denk- und Herangehensweise fehlt mir in Bezug auf den Umgang mit der Corona-Pandemie. Hier herrscht ein kritikloses Vertrauen auf politisch und medial präsentierte Wahrheit. Und kritischen Sachargumenten wird schlicht die Moral- und Solidaritätsfrage entgegengestellt. Aber wenn Fachleute Fragen aufwerfen, Datenerhebungen einfordern, Problematiken, Widersprüche oder Fehler ansprechen und sogar überprüfbare Nachweise für ihre Kritik anbieten, muss dem im fachlichen und öffentlichen Diskurs nachgegangen werden.

In einer Pressekonferenz zum Beispiel meinte Prof. Dr. Lothar Wieler, der Leiter des Robert Koch-Instituts, die Regeln müssten der Standard sein und die dürften nie hinterfragt werden … So etwas widerspricht meinem Selbstverständnis als mündiger Mensch und auch als Ermittler.

Was schätzen Sie, wie viele Ihrer Kollegen denken so wie Sie?

Ausgehend von meinem letzten Stand der Impfquote vor etwa einem Jahr könnten es rund 20 Prozent sein. Allerdings kenne ich auch Kollegen, die durchaus kritisch sind, aber dem gesellschaftlichen Druck und dem Verzicht durch die Ausgrenzungsstrategien nicht standhalten konnten. Sie haben sich deshalb impfen lassen, um uneingeschränkt am öffentlichen Leben teilhaben zu können. Außerdem wird nicht unbedingt offen gesprochen. Und dass das so ist, ist bezeichnend.

An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen – und ich meine damit nicht Menschen, die gegen ihre Überzeugung dem Druck nachgegeben haben, sondern die Unkritischen –, dass es absurd erscheint, wenn sich jemand einer medizinischen Behandlung unterzieht, um einen nicht-medizinischen Zweck zu verfolgen: um zum Beispiel ins Kino, einkaufen, in Restaurants oder auf Reisen gehen zu können. Bei fast allen, die ich gesprochen habe, lag der Impfentscheidung nämlich keine medizinische Begründung zugrunde, sondern Bequemlichkeit.

Und ich möchte das Thema Freiheit ansprechen: Wenn Kollegen oder auch andere Menschen nicht nachvollziehen können, warum Kritiker und Ungeimpfte sich nicht frei und sogar schmerzvoll bedrängt fühlen, dann sollten sie sich bewusst machen, dass sie selbst die Unfreiheit und die Ausgrenzung nur deshalb nicht bemerken, weil sie sich den Vorgaben unproblematisch gefügt haben. Hätten sie jedoch anders gehandelt und von ihrer „freien“ Entscheidung gegen eine Impfung Gebrauch gemacht, wären auch sie mit dieser Ablehnung und Ausgrenzung konfrontiert gewesen. Deshalb war und ist es aus meiner Sicht keine freie Entscheidung, wenn von zwei Alternativen die eine mit erheblichen praktischen und gesellschaftlichen Nachteilen und sozialer Schmähung verbunden ist.

Wie ist generell die Stimmung bei der Kripo? Können Sie mit Kollegen offen reden? Werden die kritischen Stimmen mehr?

Man redet schon, aber vorsichtig. Viele haben Bedenken wegen möglicher Schwierigkeiten. Das ist auch nicht verwunderlich, da eine kritische Einstellung durch das seit über zwei Jahren andauernde Framing als »rechts« gilt – was natürlich so nicht stimmt: Eine kritische Einstellung, die sich mit Sachfragen befasst, ist neutral. Aber die Leute haben Angst, als »rechts«, Nazis, Corona-Leugner und so weiter dargestellt zu werden.

Dazu kommt, dass das Phänomen „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ eingeführt wurde. Ein lesenswerter Tatbestands-Schwamm, der im schlechtesten Fall willkürlich ausgedeutet und angepasst werden kann. Niemand weiß, ob er mit seiner Kritik am staatlichen Handeln vielleicht schon unter dieses Phänomen fällt. Ich habe Bedenken, dass dieses Phänomen ein Werkzeug sein wird, um polizeiliche Maßnahmen durchzusetzen, die ohne diese Phänomen-Einordnung als Qualitätsmerkmal nicht möglich gewesen wären.

Welchen Appell möchten Sie an die Kollegen richten?

Seid nicht unkritisch. Ich habe als Student das erste Mal vom Milgram-Experiment gehört und war fasziniert und abgestoßen zugleich. Diesen Versuch sollte sich jeder zu Gemüte führen und verstehen, was passiert, wenn man Autoritäten und Experten kritiklos folgt.

Und seid sensibel für Ausgrenzung und Intoleranz. Denn Meinungsfreiheit ist grundgesetzlich geschützt, sofern sie nicht gegen Strafgesetze verstößt.

Seid Euch auch bewusst darüber, dass Ihr selbst für die Rechtmäßigkeit Eurer dienstlichen Handlungen verantwortlich seid. Reflektiert, ob Ihr anders arbeitet oder unterschiedliche Maßstäbe anlegt, weil eine persönliche Befindlichkeit, Ablehnung, Angst oder Wut bei euch beteiligt ist. Denn unser Maßstab muss immer das Grundgesetz und die freiheitlich demokratische Grundordnung bleiben.

Das Interview führte Sophia-Maria Antonulas.
Alle Fotos: Tilo Gräser

Erschienen auf Vierte Online https://www.vierte.online/2022/10/19/berliner-kriminalbeamter-grundrechte-aufmerksam-schuetzen-und-einfordern/