Lebendiger denn je: Das Kartoffeltheorem

Einleitung

Das Kartoffeltheorem hat seinen Ursprung bei Friedrich II., dem König von Preußen, sowie bei unzähligen Müttern und Großmüttern (bitte hier keine Diskussion über stereotype Rollenzuteilungen). Der Alte Fritz hat dafür gesorgt, dass die Kartoffeln in Mitteleuropa ein unverzichtbares Nahrungsmittel wurden. Und Mütter und Großmütter drängten ihre Familienmitglieder mit Sätzen wie „Nun sind die Kartoffeln auf dem Tisch, dann werden sie auch gegessen!“ dazu, diese zu verspeisen. Es ging nicht darum, was die Familienmitglieder sich als Alternativen auf dem Speiseplan wünschten, sondern einzig und allein darum, was als Haupt- bzw. Ergänzungsspeise eingekauft wurde.

Das Kartoffeltheorem (Theorem = Lehrsatz) wird Rolf Breitenstein zugeschrieben, der 1974 das Buch „Das Kartoffel-Theorem. Der wahre Zusammenhang von Produktion und Verbrauch in unserer Wirtschaft, oder: Was auf den Tisch kommt, wird auch gegessen.“ veröffentlichte. Es soll demnach ein Bedarf befriedigt werden, der vorher gar nicht bestanden hat. Er wird erst nachträglich erzeugt. Der Blick fällt in der Folge allein auf das beworbene Produkt. Der Konsum wird schließlich als eigene Wahl erkannt und als wertvoll bezeichnet. Das Auftauchen eines neuen Erzeugnisses wird dem Bedarf gleichgesetzt.  Dass die Werbung hier eine wesentliche Rolle spielt, muss nicht weiter erläutert werden. Man bezeichnet mit dem Kartoffeltheorem einen Prozess, den man als „Schaffung eines Marktes“ charakterisieren kann. Die Kartoffel eignet sich zudem ausgezeichnet für die stetige Erzeugung einer neuen Nachfrage, indem sie immer mehr variiert wurde: Pommes Frites, Chips, Kartoffelpuffer, Kroketten, Bratkartoffeln, Kartoffelsuppe, Kartoffelpüree, Gnocchi, Rösti, Klöße usw.

Um Missverständnisse zu vermeiden: Keiner wünscht sich eine Zeit zurück, in der man vor lauter Hunger sich nichts sehnlicher gewünscht hätte als eine Kartoffel. Es ist ein Segen, dass wir diese Speise als Grundnahrungsmittel zur Verfügung haben. Das Thema Pro/Contra Bioqualität lassen wir jetzt einmal außen vor. Und man kann Kartoffeln in der Küche in unglaublich vielen Variationen zubereiten. Aber Abwechslungen bei der Auswahl von Gerichten jenseits der Kartoffeln tun gut. Wir dürfen uns nicht einreden lassen, dass allein Kartoffelgerichte den gesamten Bedarf an Vitaminen, Eiweiß, Kohlehydraten, Fetten, Mineralstoffen usw. für den Körper abdecken können.

Das Kartoffeltheorem und seine generelle Bedeutung in Behörden

Das Kartoffeltheorem ist auf viele Bereiche des Lebens übertragbar. Jeder Mitarbeiter einer Behörde kennt die Bedeutung von Vorschriften, Dienst- und Geschäftsanweisungen. Das  Kartoffeltheorem wird häufig als Vorlage zu entsprechenden Übertragungen verwendet. „Nun haben wir die Regelung nach so vielen Besprechungen erlassen, jetzt muss sie auch angewendet werden.“ Oder: „Die Geschäftsanweisung ist gültig, also beachten wir sie.“

Offenbar zeigt sich das Kartoffeltheorem als Gradmesser, wie Verwaltung funktioniert und wie innovativ in der jeweiligen Behörde bzw. dem Amt gearbeitet wird. Es geht eben stetig aufwärts. Kenner wissen um die Bedeutung des Parkinsonschen Gesetzes, wonach ab einer gewissen Größe der Behörde sich diese weitgehend um sich selbst kümmert. Der steuerzahlende Bürger sollte die funktionellen Abläufe möglichst wenig stören.

Jeder hat in seiner Berufszeit gewiss schon einen Amtswalter kennengelernt, der stolz von sich behauptet hat, dass ihm hinsichtlich der Dienst- und Geschäftsanweisungen und sonstiger behördlicher Bestimmungen keiner etwas vormacht. Tja, so kann Mitarbeiter-führung eben auch gestaltet werden. Das Kartoffeltheorem als Sollvorschrift bewahrt uns vor Pragmatismus, vor kurzen Dienstwegen, Entscheidungen ohne weitere Genehmigungen, Kreativität und sonstigen Handlungsoptionen bei situativen Sachzwängen.

Das Kartoffeltheorem in Corona-Zeiten bei polizeilichen Lagen

Mit COVID-19 hat das Kartoffeltheorem auch ins polizeiliche Einsatzverhalten seinen Einzug gehalten. Plötzlich gab es Verordnungen und gesetzliche Regelungen, die im täglichen Dienst überwacht werden mussten. Es wurden Menschen Betroffene von Ordnungswidrigkeiten und Verdächtige von Straftaten, die ansonsten nie Adressaten polizeilicher Maßnahmen geworden wären. Motto von vielen pflichtbewussten Exekutivbeamten: „Jetzt haben wir Coronaregeln, dann werden wir auch für deren Einhaltung sorgen.“ So fuhren Beamte von Hundertschaften, eng in ihren Gruppenwagen sitzend, zu den neuen Brennpunkten im öffentlichen Räumen oder zu Versammlungen unter freiem Himmel, stiegen aus ihren Fahrzeugen, um dann die Einhaltung des jeweiligen Mindestabstands von 1,5 m von Mensch zu Mensch mit Zollstöcken zu kontrollieren. Und wehe, jemand hatte an der frischen Luft keinen MNS auf, wenn es für den Bereich des Ortes so als Bestimmung festgelegt war. Alternativ hierzu galt die Pflicht zum Tragen eines MNS für Versammlungsteilnehmer als Auflage bei Aufzügen und Kundgebungen. Die Einhaltung der Coronabestimmung ist nun einmal bedeutender als das freie und gesundheitsfördernde Atmen. Natürlich mussten die Beamten auch Hinweisen von wachsamen Nachbarn nachgehen, wenn sich in Wohnungen mehr Menschen trafen, als es die neuen Gesetze bzw. Verordnungen zuließen.  „Jetzt haben wir Coronaregeln und einen Verdachtsfall der Zusammenkunft von vielen Menschen, dann darf auch das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung eingeschränkt werden.“

Das Kartoffeltheorem in Corona-Zeiten aus politischer Sicht

Dass es eine Infektion gibt, die schnell von Mensch zu Mensch übergreift, ist unbestritten. Und dass es zu Verläufen kommen kann, die lebensbedrohend sind, braucht man auch nicht zu leugnen. Erstaunlich ist aber, dass die Bekämpfung von C mit Mitteln vorgenommen wurde, deren Sinn sich nicht für jeden als schlüssig erweisen. Es entwickelte sich schnell das Motto „Nun haben wir Impfstoffe zur Verfügung, nun muss sich auch jeder impfen lassen!“ als abgewandelte Form des Kartoffeltheorems. Behutsame Stimmen, was eine Impfung in eine akute Infektionswelle anrichten und wie man generell das Immunsystem stärken kann, wurden für eine Krisenbewältigung nicht gehört. Es ist so, als wenn sich die Familien-mitglieder einmal ein anderes Gericht als das mit Kartoffeln wünschen, Mutter aber auf die volle Schüssel mit den Kartoffeln, die eben jetzt gegessen werden müssen, beharrt. Hinzu kommt eine Propaganda als Dauerschleife, wie wichtig das Impfen (die Kartoffel) doch für die Gesundheit und die Solidarität in der Gesellschaft (in der Familie) sei. Infektionswellen werden in der Vorausschau über Monate hinweg  angekündigt. „Jetzt haben wir eine neue Welle prognostiziert, dann muss diese auch im Herbst kommen!“ Viele Millionen Euro wurden für den Einkauf der Impfstoffe ausgegeben. „Nun haben wir die Impfstoffe eingekauft, dann muss sich die Bevölkerung auch zum wiederholten Male impfen lassen.“

Es wäre so, als wenn Mutter oder Großmutter im Keller ausschließlich Kartoffeln gelagert hätte. Wenn es jetzt jeden Tag zum Mittagessen Kartoffeln gibt, drängt sich der Verdacht auf, dass nichts anderes gekocht werden kann oder will. Vielleicht hat Mutter oder Großmutter aber auch nur eine besondere (finanzielle?) Beziehung zum Kartoffelhändler aufgebaut.

Wenn Politiker im Kampf gegen Corona als hauptsächliche Lösungen nur Impfung und MNS verkünden, drängt sich der Verdacht auf, …, nein, die weiteren Schlussfolgerungen möge an dieser Stelle der geneigte Leser (Genus, nicht Sexus) selbst treffen.

Fazit

Das Kartoffeltheorem ist in seiner Bedeutung lebendiger denn je. Mit diesem Lehrsatz lassen sich Entwicklungen um uns herum, ob im Großen oder Kleinen, vielfach erklären. Es liegt an uns, diese Mechanismen zu erkennen und unseren Freunden zu verdeutlichen.

In Zuckmayers Theaterstück „Der Hauptmann von Köpenick“ stellt der Schwager von Wilhelm Voigt entsetzt fest, dass dieser mit seinen Ansichten zu Recht und Gesetz in der Gesellschaft an der Weltordnung pocht. Ganz so groß braucht es ja für uns nicht zu sein. Es reicht schon Feststellung des Schusters im Gespräch mit seinem Schwager: Unterordnen? Jewiß! Aber unter wat drunter?! Det will ick janz jenau wissen! Denn muß de Ordnung richtig sein, Friedrich, und det isse nich! (…) Erst der Mensch, und dann de Menschenordnung!“ Umgedeutet auf das Kartoffeltheorem: An erster Stelle steht der genau ermittelte individuelle Bedarf an Nahrung, und dann kann das Angebot folgen.