COVID-19 und die Erosion der bürgerlichen Höflichkeit
Der Ton in unserer Gesellschaft ist in den letzten zwei Jahren, offenbar hauptsächlich bedingt durch die Debatten um Corona, rauer geworden. Ich erinnere mich an einen Kommentar mit dem Titel „Das Ende der bürgerlichen Höflichkeit?“ von dem Journalisten Uwe Bork im DeutschlandRadio Kultur im Jahr 2004. Er griff die zunehmende Anstandslosigkeit im täglichen Umgang der Menschen auf. Der Autor merkte u. a. an:
(…) Benimm, Benehmen und Etikette scheinen in unserem Land rapide an Bedeutung zu verlieren. (…) Hier droht vielmehr eine Verrohung der Sitten, ein Verlust an Rücksichtnahme, Höflichkeit und Stil, ein Rückfall in eine schmerzhafte Kulturlosigkeit. (…) Sprachliche Feinheiten verlottern selbst in Printmedien, im Rundfunk und im Fernsehen zu einer vermeintlich bequemen Umgangssprache. (…)
Die Analyse von Uwe Bork bleibt allein schon aufgrund der Wortwahl der „bürgerlichen Höflichkeit“ im Gedächtnis. Die Formulierung ist für vieles passend und zeitlos. Und so stellt sich nahezu täglich die Frage, wie es denn mit ihr aussieht, sowohl im kleinen Bereich der menschlichen Begegnungen als auch im großen Rahmen der Medien, Politik, öffentlichen Diskussionen usw.
Nun, Wertewandel sowie ein stetig sich ändernder Umgangston hat es schon immer gegeben. Eine Einschätzung der gesellschaftlichen Zustände gelingt nur mit einem Vergleich zwischen dem Gestern und dem Heute. Jeder hat seinen individuellen Blick auf die Dinge. Es lässt sich zu den jeweiligen Entwicklungen und Empfindungen wunderbar analysieren und streiten. Gleichwohl lassen sich die Ausführungen von Uwe Bork angesichts der heutigen Entgleisungen in unserem Umgang fast mit einem wehmütigen „tempi passati“ anmerken.
Polizisten im Außendienst wissen generell, dass ein Großteil der Einsätze konfliktbeladen ist. Höflichkeit wird den Beamten von den Adressaten der polizeilichen Maßnahmen eher selten entgegengebracht. Hingegen erwartet man von Polizeibeamten, auch in aufgebrachten Situationen die Contenance zu wahren.
Wenn wir in der Gesellschaft nach und nach von dem Weg der guten Manieren und des gegenseitiges Respekts abkommen, dann möchte ich mit diesen Zeilen den Fokus auf Politiker, Verbandsvertreter und anderweitige Prominente richten. Konkret geht es mir darum, wie diese sich über Menschen geäußert haben, die bisher c-impffrei geblieben sind. Es gibt gute Gründe, sich gegen C impfen zu lassen, es gibt aber auch schlüssige Motive, sich nicht „den Pieks abzuholen“. Im Zweifelsfall kann der Hausarzt mit einer genaueren Abwägung Pro/Contra seinem Patienten in der Entscheidungsfindung helfen. So einfach könnte es eben sein.
Einige Impfbefürworter mit Bekanntheitsgrad können mit der Kenntnis von Impfskeptikern offenbar nicht die Haltung wahren. Nachfolgend werden einige Bezeichnungen und Formulierungen verkürzt wiedergegeben. Sie sind nicht aus dem Zusammenhang gerissen! Wissend, wer die jeweiligen Aussagen getätigt hat, werden diese Menschen aber hier nicht benannt. Die Etikette gebietet es, dass wir uns nicht mit ihrer Namensnennung über sie empören. Es geht um den generellen Trend des Vergreifens im Ton und um die Diffamierungen beim Thema C.
Impffreie bzw. Demonstranten gegen die Impfpflicht wurden bezeichnet als asoziale Trittbettfahrer, als Aasgeier der Pandemie, als Blinddarm, auf die man verzichten kann, als gefährliche Sozialschädlinge, als Bekloppte uvm. Es werde zu viel Rücksicht auf eine kleine Minderheit genommen, es dürfe keine Notfallbehandlung für Impfverweigerer geben und es wird ersucht, dass die, die freiwillig auf eine Impfung verzichten, gesellschaftliche Nachteile zu spüren bekommen. Möge die gesamte Republik mit dem Finger auf sie zeigen! Und dann wurden die Gegner der Corona-Politik als eine neue Szene von Staatsfeinden ausgemacht. Schließlich soll es ja noch die Tyrannei der Ungeimpften geben. Zudem befindet sich Deutschland in Geiselhaft der ungeimpften Menschen.
Es hieß, dass wir eine „Pandemie der Ungeimpften“ haben. Der aufmerksame Zuhörer/Leser erkennt darin, dass c-impffreie Menschen als Form einer länderübergreifenden Seuche bezeichnet werden. Im Volksmund heißt es: „Haben wir das nicht eine Nummer kleiner?“
Der Tiefpunkt aus meiner Sicht war folgende Aussage: „Ich würde es jetzt jedem politisch empfehlen: Klare Kante, klare Richtung. Impfgegner müssen fühlbar Nachteile haben. (…) Die kann man nicht nach Madagaskar verfrachten. Was soll man machen?“
Wem der Gedanke der Verfrachtung von Menschen nach Madagaskar nicht geläufig ist, der möge dieses Stichwort einmal in eine Suchmaschine eingeben. Sprachlosigkeit ist vermutlich die mildeste Form einer Reaktion, wenn man um den geschichtlichen Kontext weiß.
Was bezwecken Menschen, wenn sie derartige Aussagen treffen? Möchten sie eventuell, dass die bisher Impffreien den Mund halten, ihre für sich vorgenommene Risikobewertung quasi über Bord werfen und sich endlich impfen lassen? Meinen die Kritiker der Impfskeptiker, dass man mit derart drastischen Formulierungen real überzeugt werden kann? Sehen Impfbefürworter sich in einer moralisch überhöhten Position, die Urteile über die Entscheidungen anderer Personen zulassen? Ist ihnen bewusst, dass sie beispielgebend im schlechten Sinne wirken und so zu einer Erosion der Normen und des gesamtgesellschaftlichen Respekts beitragen?
Es ist schwer, auf derartige Ungehörigkeiten die passenden Antworten zu finden. Sachorientierte Diskussionen haben andere Gesprächskulturen als Grundlage.
Zumindest hat jeder von uns die Freiheit, sich an diesen ganzen Unhöflichkeiten nicht zu beteiligen. Wir können aber sehr wohl dem, der sich im Ton vergreift, die Grenzen aufzuzeigen.
Uwe Bork schloss seinen Kommentar wie folgt: Formen geben eben Struktur, geben auch Halt, helfen bei der Orientierung. Dass sie dabei der Inhalte bedürfen, versteht sich von selbst. Eine Gesellschaft tut gut daran, das nicht zu vernachlässigen, will sie nicht auf den Status einer amorphen Masse zurücksinken.
„Zorn ist wie Gift trinken in der Hoffnung, dass es einen anderen umbringt.“ (Buddha). Damit ist alles umschrieben, um nicht an der Verrohung der Sitten seinen Anteil zu haben und selber „im Lot zu bleiben“. Schenken wir der bürgerlichen Höflichkeit wieder mehr Beachtung!
Kommentar eines Mitgliedes des Vereines Polizisten für Aufklärung e.V.