Polizeitaktische Ziele der Wasserwerferei
Wann, wo und warum werden Wasserwerfer seitens der Polizei eingesetzt und wie hat sich die Einsatztaktik im Laufe der Zeit verändert? Darauf wollte der Verein „Polizisten für Aufklärung e.V.“ eine kurze Antwort geben. Hier der Bericht.
Als der neue Wasserwerfer 10000 der österreichischen Firma Rosenbauer vor ca. 10 Jahren die alten grünen Wasserwerfer in Deutschland ablöste, waren polizeiintern die meisten begeistert. Intern wurden sie freundlich als Wawe abgekürzt und auch Menschen ohne Polizeibezug waren mehrheitlich von der Technik beeindruckt.
Jedoch hatten die normalen Bürger nur äußerst selten die Gelegenheit, einen dieser Riesen zu erblicken, wenn diese zufällig beim Verlegen von A nach B gesichtet werden konnten. Die wenigen Situationen ergaben sich meist bei so genannten polizeilichen Großlagen, also bei größeren Einsätzen im Rahmen von Fußballspielen oder Demonstrationen.
Einen Wawe tatsächlich in Aktion, sprich beim Wasserwerfen, zu beobachten, ergab sich wenn überhaupt nur bei Vorführungen, z. B. an „Tagen der offenen Tür“.
Einsatzzweck des neuen „Wawe“
Wenn sie so selten eingesetzt werden, stellt sich die Frage, warum die Polizei dann überhaupt solche neuartigen Fahrzeuge beschafft und mühsam hochqualifiziertes Personal dafür ausbildet.
Aufgrund der so genannten Hohlstrahltechnik kann der Wawe 10 – ebenso wie ein Feuerwehrfahrzeug – den Wasserstrahl „auffächern“. Im Einsatzfall ermöglicht das einen sehr viel verhältnismäßigeren Einsatz dieses „Hilfsmittels der körperlichen Gewalt“.
Die Wasserabgabe mit Vollstrahl (also ohne Auffächerung) der alten grünen Wawe wurde etwa gegenüber Sitzblockaden (d. h. Personen, die sitzend eine Kreuzung blockieren) stets als unverhältnismäßig angesehen. Aus den Wasserwerfer-Einsätzen im Rahmen von „Stuttgart 21“ resultierten auch aus diesem Grund Verurteilungen von Kollegen.
Mit aufgefächertem Strahl kann jetzt bei jedem Einsatz die Verhältnismäßig besser gewahrt werden, da sich das Verletzungsrisiko entscheidend verringert.
Die meisten Studierenden bei der Polizei erhalten im Rahmen des Studiums die Möglichkeit, selbst einmal in diesem aufgefächerten Strahl zu sitzen. Jeder, der auf einem solchen Fahrzeug eingesetzt wird, erfährt diese Situation auf jeden Fall.
Erneut stellt sich die Frage nach der Notwendigkeit. Nur um ein paar Sitzblockaden „abzuduschen“, damit die Kollegen die Teilnehmer nicht wegtragen müssen, wird man wohl kaum Fahrzeuge beschaffen, deren Anschaffungswert bei jeweils über einer Million Euro liegt.
Der hauptsächliche Zweck eines Wasserwerfer-Einsatzes besteht darin, Distanz zu schaffen. Daran hat sich von Anfang an nichts geändert. Es soll Distanz zwischen dem so genannten Störer oder Straftäter (meist Steinewerfer) und den polizeilichen Einsatzkräften bzw. zwischen verfeindeten Gruppen aufgebaut werden. In anderen Staaten werden hierfür auch Gummigeschosse eingesetzt, die jedoch oft erhebliche Verletzungen nach sich ziehen.
Aus der früheren Praxis
Auch innerhalb der Polizei wurde die Erforderlichkeit von Wasserwerfern oft in Frage gestellt. Die Erfahrungen während der Einsätze rund um den G20-Gipfel in Hamburg haben aber deutlich aufgezeigt, weshalb für die Bewältigung polizeilicher Einsatzlagen Wawes erforderlich sein können.
1. Schutzfunktion für die Kollegen
Der Strahl des Wawe reicht ca. 60 Meter weit. So weit wirft kein normaler Mensch einen Stein. Somit sind die eingesetzten Kollegen auf Höhe des Wawe nicht „im Steinhagel“, solange dieser Wasser wirft.
2. Präventionswirkung
Darüber hinaus werden die Wasserwerfer oft zu präventiven Zwecken eingesetzt. Die bloße Anwesenheit des Riesen kann hemmend auf problematische Gruppen wirken, die zu gewalttätigen Aktionen neigen. Problematische Fußballfans können durch ein kurzes Vorrücken des Wawe, kombiniert mit einer deutlichen taktischen Lautsprecherdurchsage, dazu „überredet“ werden, Flaschenwürfe einzustellen, ohne dass überhaupt Wasser abgegeben werden muss. Vor diesem Hintergrund wurde das Äußere des Wasserwerfers sogar bewusst martialisch gestaltet.
3. Einsatz in Gewaltsituationen
Abgesehen von der Möglichkeit der Wasserabgabe gegen eine Sitzblockade oder gegen aggressive Fussballfans werden die Wasserwerfer grundsätzlich also nur gegen gewaltbereite „Störer“ bzw. Straftäter eingesetzt.
4. Hilfsmittel körperlicher Gewalt
Was den unmittelbaren Zwang angeht sei noch erwähnt, dass der Einsatz des Wawes (ohne zugemischten Reizstoff) lediglich ein Hilfsmittel der körperlichen Gewalt ist. Dabei steht auch jeder Einsatz des Wasserwerfers selbstverständlich unter dem Vorbehalt des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, soll heißen, der Einsatz muss geeignet, erforderlich und angemessen sein.
Die – leider erschreckende – Praxis heute
In der Zeit seit März 2020 hat sich nicht nur der Polizeieinsatz generell, sondern insbesondere der Einsatz von Wasserwerfern in der BRD entschieden verändert. Man bedenke allein den jetzt schon legendären hessischen Zollstock.
Anstelle einer besonnenen, auf Deeskalation ausgerichteten Einsatztaktik, werden die Wasserwerfer, genauso wie andere polizeiliche Maßnahmen, eher zur Einschüchterung oder sogar Abschreckung einer friedlich demonstrierenden Bevölkerung eingesetzt.
Die Wirkung eines Wasserwerfers auf einen Hardcore-Ultra aus der Dresdner Fanszene wird sich deutlich von der Wirkung auf eine alleinerziehende Mutter mit ihrem Kind im Kinderwagen unterscheiden. Die Reaktion des Ultras wird womöglich ein verschmitztes Lächeln sein. Die alleinerziehende Mutter wird sich wohl eher verängstigt auf den Heimweg begeben, schon allein um keine Risiken für ihr Kind einzugehen.
In Berlin räumt man jetzt friedliche Demonstranten mit Wasserwerfern aus dem Weg. In Frankfurt genauso. Aus den Niederlanden wurde im Frühjahr 2021 ein Video veröffentlicht, auf dem zu sehen ist, dass eine junge Frau, die in ca. 10 Metern Entfernung parallel zu einem Wasserwerfer läuft, vollkommen unvermittelt und ohne gewalttätige Aktion ihrerseits, von einem vollen Wasserstrahl mit hohem Druck in Kopfhöhe getroffen wurde. Durch diesen – ohnehin absolut untersagten – Einsatz des Wawe wurde sie gegen eine Mauer geschleudert. Für polizeiliche Fachkräfte aus dem Bereich Wawe sind das absolut verstörende Bilder.
Zuletzt wurden größtenteils friedliche Demonstranten in Brüssel, u. a. mittels Einsatzes von Wasserwerfern, durch die Stadt getrieben, anstelle auffällig problematische Gruppierungen frühzeitig festzusetzen und von der Versammlung auszuschließen. Für jeden Polizisten, der über Erfahrung mit Großlagen verfügt, ist eine solche Vorgehensweise ein absolutes Armutszeugnis.
Es ist Teil der polizeilichen Ausbildung, dass die Polizei bei Versammlungen, von denen keine Gefahr ausgeht und für die von außen keine Gefahr besteht, absolut zurückhaltend vorzugehen hat.
Der heute offensivere Einsatz von Wasserwerfern gegenüber friedlichen Bürgern, offensichtlich mit dem Ziel der Abschreckung von Teilnehmern, entspricht in keiner Weise dem Selbstverständnis, welches die Mitglieder des Vereins „Polizisten für Aufklärung e. V.“ aufgrund ihrer dienstlichen Erfahrung entwickelt haben.